Gesellschaft - oder das, was von Außen kommt

 

Vor kurzem kamen mir ein paar Gedanken in den Sinn während ich zu meinem nächsten Kurs fuhr. 

 

Ich hatte mittags feudal beim Griechen gespeist und wusste, dass auch Knoblauchatem einer Selbstverteidigungstechnik nahe kommen kann. So formulierte ich während des Fahrens bereits Entschuldigungen, damit sich meine Schülerinnen nicht "angegriffen" fühlten.

 

Allerdings, warum sollte ich mich für etwas entschuldigen, was jemand anderem Probleme bereitet? (Auf Moral und Ethik gehe ich später ein.)

 

Vor einigen 100 Jahren war es noch Usus, dass man bei Tische nach dem Essen zumindest gerülpst hat. Tat man dies nicht, so hatte es einem nicht geschmeckt und war der Gastgeber zutiefst enttäuscht.

Mit der Zeit wichen diese Verhaltensweisen einer neuen Etikette, die wir unter anderem einem Herrn Knigge zu verdanken haben. 

Davon abgesehen, bin auch ich gut erzogen worden, mit Tischmanieren und so weiter und lehne es noch heute ab, mein Messer abzulecken. Es widert mich sogar an. 

 

Und trotzdem habe ich das Problem damit und nicht derjenige, der sein Messer gerade genüsslich ableckt. Vielleicht hat er es so gelernt? Oder sich über die Zeit angewöhnt? Vielleicht genießt er sein Essen so sehr, dass er nichts davon verschwenden möchte, weil es nur am Messer klebt? Wir wissen es nicht. 

 

Genauso verhält es sich mit Kleidungsstilen, Frisuren, Figuren, gebleachten Zähnen oder mit Zähnen in gegenteiliger Farbe (wusstet ihr, dass es in einem Gebiet in Fernost als schick gilt, wenn die Zähne schwarz sind?).

Es ist die Gesellschaft, die uns Mode, Aussehen, Verhalten etc. indoktriniert. Es ist das Außen, das uns leitet, bis hin zu "was sollen denn die Nachbarn denken, wenn ich mit einem Obsthut auf dem Kopf im Baströckchen in meinem Garten einen Regentanz aufführe!" 

 

Ja, was sollen sie denn denken? 

 

Sie werden denken, und zwar egal, was ihr tut. Haltet ihr euren Rasen wie einen olympischen Golfrasen, heißt es womöglich, dass ihr nichts besseres zu tun habt und nicht umweltfreundlich seid, weil das Unkraut ja für die Insektenwelt nützlich wäre. Habt ihr einen Garten,  der einem Dschungel ähnelt, seid ihr nicht ordentlich und lasst alles verkommen. 

 

Merkt ihr was? Die Gesellschaft... die Frau, die dir entgegen kommt... der Mann, der hinter dir her läuft... eure Nachbarn... eure Kollegen... eure Eltern, Großeltern, Verwandten... sie werden immer denken. 

 

Für die einen verhaltet ihr euch angepasst, für die anderen seid ihr spießig. Für die einen seid ihr der Punk schlechthin, für die anderen obercool (sagt man das heute noch?).

 

Für mich bedeutet Anpassung, dass ich mich insoweit so verhalte, dass ich meinen Job behalten kann, mein Umfeld nicht schreiend davon rennt und ich Freunde habe. 

 

Ansonsten bin ich ich. Ganz einfach. Meine Mutter regt sich über meine chaotische Wohnung auf. Ich mich nicht. Mein ExMann regte sich über mein unordentliches Auto auf. Ich mich nicht. Die Gesellschaft findet, ich bin zu dick. Ja, stimmt, mir egal. Es ist meine Gesundheit und mein Körper. Wenn man den Körper betrachtet, sind wir alle sowieso überall und nirgends nicht ausreichend. Laut Werbung, sollten wir keine Falten haben, keine Schrunden, keine Hornhaut, keine Haare, keine Muttermale, keine grauen Haare, keine Pölsterchen etc. pp. Nur, um ihre Produkte zu kaufen, die sowieso nichts bringen. Einfach, damit wir den Fehler bei uns suchen, weil das Produkt ja nicht anschlägt. Wir sind selbst Schuld...

 

Nun, zurück zum Anfang.

 

Jeder kann irgendetwas an mir finden, dass ihm nicht passt oder passt - das ist kurz gesagt reine Meinungsfreiheit. Ob ich etwas daran ändere, liegt ganz allein bei mir. Es ist nicht mein Problem, wenn jemand ein Problem damit hat. Also muss ich mich auch nicht für etwas entschuldigen, wo keine Entschuldigung angebracht ist. Knoblauchatem zum Beispiel. Habe ich jemandes Gefühle schwer verletzt, der mir am Herzen liegt, ist das ein ganz anderes Thema, bringt mich aber zum nächsten Gedankengang.

 

Ihr werdet von einer Frau oder einem Mann angesprochen, angeflirtet, angebaggert. Dann könnt ihr das ganz charmant aufnehmen und auch ebenso charmant wie nachdrücklich die Avancen ablehnen. Klar, habt ihr gerade die Gefühle der- oder desjenigen verletzt. Aber das ist nicht euer Problem. Es ist seines oder ihres. Und damit muss er/sie ganz allein klar kommen. NIEMAND hat das Recht, euch nach einer Abweisung schlecht zu behandeln, zu beleidigen, oder gar anzugreifen! Dementsprechend müsst ihr auch vorher oder währenddessen nicht euren Kopf zerbrechen, wie ihr diese Art Verletzungen vermeiden könnt. Könnt ihr nicht. Außer ihr wollt so sozial sein und mit jedem und allem mitgehen, alles über euch ergehen lassen, nur, weil ihr deren oder dessen Gefühle nicht verletzen wollt. Wisst ihr, wessen Gefühle, Leben, Kopf ihr mit so einem Verhalten langsam aber sicher zerstören würdet? Eure, eures und euren! Das hat dann nichts mehr mit Selbstverteidigung zu tun, sondern mit sukzessiver Selbstzerstörung. 

 

My safety first - your feelings second. Ganz einfach. 

 

Aber gehen wir noch ein Stück weiter auf diesem Weg.

 

Blicken wir in die Richtung von gesellschaftlich anerkanntem Verhalten. Während es hier zu Lande gesellschaftlich anerkannt ist, zuweilen gar erwartet wird, dass eine Frau sich nett verhält, lächelt, lieb ist, scheu, bedürftig und Schutz suchend (am besten  noch um Erlaubnis fragend), hat sie in anderen Ländern fast gar keine Rechte, außer geschlagen zu werden, wenn es einem Mann in den Kram passt. Das ist wiederum dort gesellschaftlich anerkannt. Ebenso wie es in manchen Ländern nach wie vor gesellschaftlich anerkannt ist, dass Frauen aus Ehre ermordet werden. 

 

Ach, das findest du völlig inakzeptabel? Ich ja auch. Daher fallen für mich u. a. Mord, Totschlag, Körperverletzung auch nicht unter die Rubrik Gesellschaft, sondern unter Moral und Ethik. Es gibt in keiner Religion das Recht auf Mord. Das wird überall verteufelt. Nur nicht da, wo ein Mann sich in seinen Rechten eingeschränkt sieht. Also wenn die Frau sein Sandwich nicht so zubereitete, wie er es gerne hätte, oder nicht mit männlicher Begleitung zum Einkaufen ging. Ach ja... in manchen Ländern liegt es im Bereich des normalen gesellschaftlichen Vorgehens, dass Frauen, die vergewaltigt wurden, dann gesteinigt werden. Sie hat sich ja schließlich vergewaltigen lassen. Uff...

 

Kehren wir zurück in die angeblich zivilisierte westliche Welt. 

 

Lesen wir ein wenig in social media, oder den Kommentarspalten großer namhafter Medien. 

 

Wird eine europäische Frau von einem ausländisch anmutenden Mann (ich wähle diese Ausdrucksweise absichtlich, denn man kann auch nichteuropäisch aussehen und dennoch hier geboren sein) belästigt, angegriffen, vergewaltigt, dann plustern sich sogenannte besorgte Bürger auf wie Küken nach einem Bad. 

"Die müssen hier raus!" "Dem gehört xy abgeschnitten!" "Sowas brauchen wir nicht in unserem Land!" "Die sollen unsere Frauen in Ruhe lassen!"

 

Ich hasse das Hatespeech der AfD! Ich hasse Nazis! Ich kann Menschen, die andere Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Religion, Geschlechtszugehörigkeit, "Rasse" (was ein widerlicher Begriff) ausgrenzen, nicht leiden. 

Weswegen ich es auch absolut nicht leiden kann, wenn in diesen Medien immer die Nationalität des Täters gleich in der Überschrift steht. Dass sie überhaupt genannt wurde. Ist es nicht vollkommen egal? DA WURDE EINE FRAU ANGEGRIFFEN, VERLETZT, VERGEWALTIGT ODER GAR GETÖTET! Scheißegal, wie der- die- dasjenige aussah, oder von wo sie kam. 

 

Liest man diese Berichte aber weiter, wird es "interessant". 

 

Denn wird eine europäische Frau von einem Europäer angegriffen, verletzt, vergewaltigt, dann ändert sich das Wording dieser besorgten Bürger. Es schalten sich sogar Frauen ein. Kurzer Exkurs: Wusstet ihr, dass der größte Hater der Frau meistens Frauen sind? Sehr schade. Sollte man doch denken, dass wir zusammenhalten, um endlich die gleichen Rechte zu bekommen und selbst über unseren Körper bestimmen zu können (warum entscheiden Männer über Abtreibungen?).

 

Die Kommentare lauten dann eher folgendermaßen:

"Warum ging sie da überhaupt entlang zu der Uhrzeit?" "Warum war sie allein unterwegs?" "Geschieht ihr Recht, so wie sie rumläuft." "Das hat sie doch gewollt, so wie sie angezogen war!"

 

Liebe Leute... ich kann auch nackt auf die Straße gehen und KEIN MENSCH hat das Recht mich deswegen anzufassen, oder zu vergewaltigen!! Von einer Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses reden wir jetzt nicht. Sondern von Art. 1 GG: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das schließt den Körper mit ein.  

 

Für mich gehört jeder Mann aufs Schärfste bestraft, der einer Frau etwas antut, das sie nicht will. Ein "Nein" reicht völlig aus. Sogar ohne, dass die Frau ihre Hand zusätzlich hebt. Wo er herkommt, ist mir dabei völlig einerlei. Frau sagt nein - Flossen weg! Frau kann nicht nein sagen, weil er ihr K.O.-Tropfen verabreicht hat - er ist ein erbärmliches Arschloch. Auch ganz einfach. Sie gab ihm in der Disco einen Korb und er lauert ihr deswegen draußen auf? Er ist ebenfalls ein Arschloch. 

 

Oh, bin ich dir zu Nahe getreten mit meiner Ausdrucksweise? Scroll ein wenig hoch... nicht mein Problem, sondern deins ;)

 

Gehen wir noch einen Schritt weiter. 

 

Kennt ihr den Satz "Jungs sind eben so."?

 

Ich kenne ihn nur zur Genüge. Seit ich Kind war. Seit ich meine Tochter habe. 

 

Junge zerrt Mädchen an den Haaren - Jungs sind eben so. "Der mag dich."

 

Junge beleidigt Mädchen - Jungs sind eben so. "Der mag dich."

 

Echt jetzt? Man erzieht auf diese Weise? Man möchte, dass das uralte Rollenbild geändert wird, dass Männer auch Haushalt machen (nicht darin helfen, das ist nicht das gleiche), dass Frauen genauso viel verdienen im gleichen Job wie Männer, dass Frauen die gleichen Jobs machen dürfen wie Männer - einfach dass Frauen gleichberechtigt seid? Und dann erzieht man nach der obigen Methode seine Söhne? Echt jetzt?

 

Dass das nicht funktionieren kann, leuchtet vielleicht ganz langsam ein?

 

Ja, ich schreibe ziemlich drastisch und deutlich. Durch die rosarote Brille schreiben genügend andere. Ist nicht mein Stil. 

 

Es gibt eine neue Gilette-Werbung. In der viel gezeigt ist, was angeblich einen Mann ausmacht. Welches Verhalten Jungen an den Tag legen, weil sie eben Jungen sind und was sie später zu einem Mann macht. 

Diese Werbung hat so viele Männer regelrecht aufgeschreckt! Sie fühlten sich in ihrer Ehre (hoppla) gekränkt. Wie war das mit der Gesellschaft? Frauen darf man unterdrücken, Männer brauchen Freiheit? Ach... 

 

Ein Junge darf und soll freundlich zu einem Mädchen sein. Er muss sich nicht prügeln. Er darf auch weinen. Er hat schließlich auch Gefühle. Ja, ist so. Klar, könnt ihr eure Familie so aufstellen, wie ihr wollt. Mit Rollenteilung. Dennoch bin ich der Auffassung, wenn man zusammen eine Familie hat, ein zu Hause und so weiter, dass man es auch zusammen "bewirtschaftet". Jeder kann sich um die Kinder kümmern. Jeder kann etwas im Haushalt tun (nicht helfen!!  -  "sag mir was ich tun soll, dann mach ich das" echt jetzt... voll lame...).

 

Nur ihr könnt Verhaltensmodi, die über Jahrhunderte aufrecht gehalten wurden (um Macht nicht abgeben oder teilen zu müssen!) ändern, indem ihr euch ändert. Indem ihr ein anderes Verhalten vorlebt. 

 

Indem wir wieder in allem miteinander menschlicher umgehen. 

 

Deswegen auch:

 

My safety first - your feelings second.

 

Verteidige Dich, verteidige Dein Leben - Du hast nur dieses eine. Gerade, oder auch, wenn diese Gesellschaft es komisch findet, dass Frauen sich anders verhalten, als kleine Püppchen.

 

 

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